Multitasking – der Anfang vom Ende einer Illusion

Was ist das Praktische an einem Schweizer Taschenmesser?
Es hat viele verschiedene Werkzeuge und Instrumente in einem integriert und ist deshalb vielfältig zu benutzen. Ein Arbeitsgerät mit vielen Funktionen. So ist das Taschenmesser geradezu zum Sinnbild für Multitasking geworden.
Aufgrund der vielfältigen Anforderungen, die v.a. Familienfrauen oder
-männer mit klein(st)en Kindern in kürzester Zeit bewältigen müssen, sind sie zum anderen Symbol für die Fähigkeit geworden, vieles gleichzeitig erledigen zu können.
Weil die Mehrzahl derer, die die Familienarbeit bewerkstelligen, Frauen sind, lautet das Vorurteil, das sich über Jahre hin aufgebaut hat, auch: „Frauen sind besser im Multitasking“.

Bei aller Wertschätzung oder auch Selbstbehauptung, die darin zum Ausdruck gebracht werden mag, versteckt sich in dieser Aussage oftmals auch der Anspruch, noch mehr in noch kürzerer Zeit zu arbeiten und zu leisten.
Es bleibt bei aller Anstrengung dann auch auf jeden Fall bei dem „Mehr“ – denn besser wird die Arbeit sicher nicht.
In den letzten Jahren sind mehrere Studien zum Thema Multitasking veröffentlicht worden, die allesamt eines belegen: Multitasking geht nicht, wenn die zu erledigenden Aufgaben keine motorischen Routineaufgaben sind, die völlig automatisiert ablaufen, sondern eine bewusste Verarbeitung und Entscheidungen verlangen. Und auch bei automatisierten Abläufen lassen sich in der simultanen Ausführung Zeitverluste und Verzögerungen aufzeigen.

Warum geht es nicht? Nun, das Gehirn des Menschen hat bezüglich seiner Informationsverarbeitungskapazität in den letzten Jahrtausenden nicht Schritt gehalten mit der gesellschaftlichen und kulturellen Entwicklung. Vielmehr ist es noch genauso begrenzt wie einst beim Steinzeitmenschen. 1956 veröffentlichte der amerikanische Psychologe George Miller eine Studie, die auch heute noch Gültigkeit hat. Demnach liegt die Verarbeitungskapazität unseres Arbeitsgedächtnisses bei 7 +/- 2 Einheiten. Wir können die Informationsverarbeitungskapazität unseres Gehirns also nur dadurch erhöhen, dass wir größere Merkeinheiten (sogenannte Chunks) bilden. Neben dieser Arbeitsgedächtnisspanne gibt es auch noch eine davon unterschiedene Arbeitsgedächtniskapazität, die Aufschluss darüber gibt, wie gut das Gedächtnis Störeinflüsse von außen unterdrücken kann, um relevante Information zu behalten.

Wenn wir nun parallel mehrere Aufgaben erledigen sollen oder wollen, dann bearbeiten wir diese nicht simultan, sondern, so zeigen die kognitionspsychologischen Experimente, wir switchen mit unserer Aufmerksamkeit permanent zwischen den verschiedenen Arbeiten hin und her. Dabei kann der Wechsel teilweise innerhalb von Millisekunden, Sekunden oder auch Minuten liegen. Dieser Aufgabenwechsel ist mit Kosten verbunden: Er braucht viel Zeit, beeinflusst die Leistung in hohem Maße und es werden häufiger Fehler gemacht, weil die Unterdrückung des gerade unwesentlichen Inhalts nicht ausreichend funktioniert und Interferenzen mit den anderen Aufgabeninhalten entstehen.

Zudem, und das verwundert nicht, angesichts dessen, dass hier permanent hohe Anforderungen an Aufmerksamkeits- und Arbeitsgedächtnisprozesse gestellt werden, erschöpft ein solches Arbeiten die Betroffenen in sehr hohem Maße.

Das Gegenmodell zu Multitasking ist die (Selbst-)Beschränkung und Konzentration. Der berühmte Flow, der entsteht, wenn ich mich in einer Aufgabe vertiefe und mich von ihr ganz in Anspruch nehmen lasse, entsteht nur, wenn ich ganz und gar bei einer Sache bleibe. Dann erschöpfen Aufgaben nicht, sie geben Energie zurück, motivieren und lassen Zufriedenheit entstehen. Dann kann auch die volle Leistungsfähigkeit gezeigt werden, die im Modus Multitasking häufig nicht mehr sichtbar ist – übrigens auch nicht beim Taschenmesser.

Wenn alle Werkzeuge gleichzeitig ausgeklappt sind, mag es beeindruckend wirken, groß und stark – aber es erfüllt seinen Zweck nicht mehr. Das tut es nur, wenn Sie ein Werkzeug zur Zeit nutzen.

Ein Kommentar to “Multitasking – der Anfang vom Ende einer Illusion”

  1. Norbert Glaab said:

    Jul 14, 11 at 15:46

    hallo Frau Schäfer,
    schön, was Sie über Multitasking denken.
    Alles in unserem Universum läuft nacheinader ab. Uns fehlen nur manchmal die Möglichkeiten des Nachweises.
    Jede Aktion hat eine Reaktion. Das wars.
    Daher auch der Name Universum nicht Multiversum.

    Auch der Flaschner hat viel Werkzeuge, wenn er zum Kunden geht.
    Auch er benutzt das Werkzeug, das ihm die leichteste Lösung bietet.

    Beste Grüsse
    Norbert Glaab


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