Auch wer verheizt wird, brennt aus
Tags: Arbeitsorganisation, Gesundheitsförderung, Stress, Strukturen, Weiterbildung
Vor kurzem wurde ich um Rat gebeten, wie eine junge Frau, nach längerer Krankheit wieder auf der Suche nach Arbeit, in diesem Prozess ihre Interessen wahren kann. Es war ihr wichtig, bei allem Engagement, das sie zu bringen bereit war, in einem neuen Job nicht von vornherein mit 200% eingeplant und entsprechend schnell verheizt zu werden. Es gibt ja den Spruch „Wer niemals brennt, kann auch nicht ausbrennen“. Darin spiegelt sich die Erfahrung wider, dass viele von Burn-out Betroffenen mit sehr hohem Engagement arbeiten, eine sehr hohe Leistungsbereitschaft haben, dass sie also alles geben, was sie können und oftmals vergessen oder aber unfähig sind, rechtzeitig vor einer Überbelastung „Nein“ zu sagen. Sofern sie diese, solange sie funktionieren, überhaupt spüren. Was aber, wenn das Individuum die Grenze nicht setzen kann, weil die Strukturen so sind, dass sie keine Rücksicht auf die Belastbarkeit des Einzelnen nehmen. Was, wenn von vornherein einkalkuliert wird, dass die Menschen in der Organisation für eine kurze Zeit „verheizt“ werden – um sie dann wieder „freizusetzen“ auf den Arbeitsmarkt. Auch wer verheizt wird, brennt aus! Und bei aller individuellen Hilfe, die dann nötig ist, um die Folgen des Burn-out aufzufangen und die Menschen zu stabilisieren, ist für mich die Frage, ob wir das auf Dauer wollen, dass Organisationen auf Kosten des allgemeinen Gesundheitswesens Potential verbrennen. Denn wir müssen uns bewusst machen: Wer einmal von einem Burn-out betroffen war, wird immer auch mißtrauisch bleiben, ob die geforderte Leistung sie oder ihn wieder an diese Grenze führt oder nicht. Und so geben sie lieber nur 80 %, um nicht wieder krank zu werden.
Im Prozess des Betrieblichen Gesundheitsmanagement ist es mir sehr wichtig, immer auch auf die Strukturen zu schauen. Wo fördern sie gesundes Verhalten, wo machen sie krank. Dabei geht es dann nicht nur um die ergonomische Gestaltung von Arbeitsplätzen und die Einhaltung von Arbeitsschutzrichtlinien. Viel mehr geht es um die Gestaltung der sozialen Bezüge. Wird dafür gesorgt, das die Kommunikation zwischen den Hierarchien aber auch in der horizontalen Ebene wertschätzend ist? Sind Führungskräfte darin geschult, professionell Feedback zu geben? Sind sie in der Lage, durch Teambildungs- und -entwicklungsmaßnahmen Grüppchenbildung und Ausgrenzung in ihrem Team zu vermeiden und statt dessen ein leistungsstarkes Team zu formen, das sich auf ein gemeinsames Ziel einschwören läßt? Gibt es eine funktionierende Konfliktkultur? Werden Mitarbeiter in ihrer Kompetenz wahrgenommen und wird ihnen die Weiterbildung ermöglicht. Egal wie alt wir sind, wollen wir uns doch stets weiter entwickeln. Dazu brauchen wir Impulse von außen, die Chance, dass sich was verändern kann. Nur so bleiben wir letztlich auch mental gesund und damit leistungsfähig. –
Und wäre es nicht fair, wenn 100% unserer Leistung genügen würden, die wir dann auch gerne über viele Jahre zu geben bereit sind?
expetheo said:
Sep 22, 10 at 18:08Ich stimme dem Artikel absolut zu und bin froh, dass auch über diese Themen gesprochen werden kann.
Allerdings ein ergänzender Aspekt: Das sog. Pareto-Prinzip besagt m.W., dass man für 80% der zu leistenden Arbeit 20% der Kraftreserven einsetzen muss, während man für die restlichen 20% dann 80% der Kraft braucht. Wäre es angesichts dessen nicht eine Überlegung wert, auf das Ziel, 100% zu leisten schlicht und einfach zu verzichten? 😉
Wer mich kennt, weiß, dass ich selbst nicht nach dem Pareto-Prinzip arbeite, aber manchmal wünschte ich, ich würde es einfach tun…