Mut zum Eigensinn
„Eigensinn“ ist etwas, das mich immer wieder beschäftigt. Ich kann mich noch erinnern, dass ich von meinem Vater das eine oder andere Mal ermahnt wurde, nicht so eigensinnig zu sein. Damals hatte es die negative Konnotation eines egoistischen und vielleicht auch angesichts einiger Geschwister manchmal rücksichtslosen Verhaltens. Irgendwie musste ich aber als drittes Kind meine Interessen ja zur Geltung bringen.
Auch heute erlebe ich, dass es gut tut, immer wieder „eigensinnig“ zu sein. Nicht, weil mich der Egoismus treibt, sondern weil es gut ist, nach mir selbst zu schauen, meine ganz eigenen Interessen zu erkennen und mein Leben an den Werten auszurichten, die mir wichtig sind und die mir, wie ein Kompass, Orientierung auf meinem Weg durchs Leben geben.
Wie oft sind wir Getriebene der Ansprüche anderer, seien das Vorgesetzte, Kollegen und Kolleginnen, Kunden oder Klientinnen, Freunde oder manchmal auch die Familie, wie schnell werden die eigenen inneren Werte, Wünsche und Bedürfnisse unter die des Unternehmens oder der allgemein von außen kommenden Anforderungen untergeordnet?
Das Gefühl, im Hamsterrad gefangen zu sein und nicht aussteigen zu können, begegnet mir sehr häufig. Wer raus will aus dieser Erschöpfungsspirale braucht etwas „Eigensinn“, den Sinn für das Eigene, für das, was einem selbst wichtig ist. Ohne, setzen andere die Prioritäten und es bleibt alles beim Alten.
Insofern befreit „Eigensinn“ aus der Überforderung und hat gleichzeitig noch einen schönen Nebeneffekt: Er macht Spaß und tut gut: Wie entlastend, die eigenen Grenzen anzuerkennen und neben der Arbeit auch den Genuss wieder wert zu schätzen, wie angenehm, sich nicht mehr ständig beweisen zu müssen, wie befreiend aber auch, nicht mehr jedem Trend hinterher laufen und sich jeder Mode anpassen zu müssen. Etwas Eigensinn schadet also nicht und ist weit entfernt vom Egoismus – ich habe vielmehr die Vermutung, dass er einen echten Sinn für den anderen oder eine „Gemeinwohlorientierung“ erst ermöglicht.